08 Dez Verehrt und missbraucht
Tempeltänzerin – Tempelprostitution: Das Schicksal der Devadasis
„Ich bin eine Tempeltänzerin – eine Devadasi: für mich bedeutete das, dass ich für die Götter im Tempel tanze und Tempeldienst verrichte. Alles, was ich tat, tat ich für Gott. Das dazu auch Vergewaltigungen gehörte – davon hatte ich keine Ahnung.“
„Mein Name ist Basamma und ich bin eine von hunderttausenden von Devadasis, die es in Indien auch heute noch gibt. Ich habe noch eine ältere Schwester. Und vielleicht wäre mein Leben gar nicht so schlecht verlaufen, wäre mein Vater nicht so früh gestorben.
Meine Mutter hatte große Angst, dass sie im Alter unversorgt bleiben würde, wenn beide Töchter heiraten und damit das Haus verlassen würden. So entschloss sie sich, mich, ihre jüngere Tochter, der Göttin zu weihen. Damit würde ich bei meiner Mutter bleiben und für sie im Alter sorgen.
Als ich neun Jahre alt war
wurde ich der Göttin geweiht. In den ersten Jahren nach der Weihe änderte sich für mich nichts, außer dass ich im Tanz unterrichtet wurde. Das hat mir schon viel Freude bereitet. Kurz nach der Pubertät wurde dann der Tag für meine Initiation festgelegt. Ich war ganz aufgeregt. Bei einem großen Tempelfest sollte ich erstmals öffentlich tanzen. Ich hatte die Vorstellung, dass das mein großer Tag sein würde. Meine Mutter schmückte mich mit Armreifen, mit Blumen im Haar und einem neuen Sari. Zu dem, was in der Nacht nach dem Tempeltanz folgen würde, sagte meine Mutter mir nur: „Was immer die Männer von dir verlangen, das tu!“ Ich hatte keine Ahnung, dass ich in dieser Nacht gleich von mehreren Männern vergewaltigt werden würde…. Hilfe konnte ich von niemandem erwarten, nicht einmal von meiner eigenen Mutter. Sie gab mich dem ja hin, in dem Glauben, selbst dadurch Gnaden bei den Göttern zu erhalten.
Jetzt wusste ich, was es bedeutet, eine Devadasi zu sein
Mit dem Tag meiner Initiation begann der Horror für mich. Meine Freundinnen verließen mich. Die Frauen des Dorfes beschimpften mich. Es gab Mittelmänner, die beständig versuchten, mich Freiern anzubieten.
Heute bin ich ungefähr 38 und habe zwei Kinder. Wer der Vater ist, weiß ich nicht. Ich habe nie eine Wahl gehabt….“
Das Devdasi-System
Die „Tempelprostitution“ – auch Devadasi-System genannt – ist heute immer noch in vielen Regionen Indiens stark verbreitet. Obwohl das Devadasi-System 1988 offiziell abgeschafft wurde. Besonders in ländlichen Gebieten und abgelegenen Dörfern hält man an diesen Praktiken fest. Junge, hübsche Mädchen aus unteren Kasten oder Kastenlose werden den Göttern der Tempel geweiht. Dieses Ritual hat eine lange Tradition im Hinduismus. Ehemals haben die Devadasis, die Tempeltänzerinnen, lediglich in den Tempeln getanzt und wurden bewundert. Auch wenn sie aus armen Familien stammten, hatten sie einen sehr angesehenen gesellschaftlichen Status. Doch das Bild hat sich gewandelt. Heute werden die Mädchen von wohlhabenderen Männern des Dorfes sexuell missbraucht und geraten in die Prostitution. Für die erste Nacht mit einer Devadasi wird ein hoher Preis bezahlt.
Die Devadasis werden in ihren Dörfern verachtet und ausgegrenzt. Für den Rest ihres Lebens arbeiten sie als Prostituierte und ergänzen ihr Einkommen durch Feldarbeit, wenn das Geld zum Überleben nicht reicht. Heiraten können sie nicht. Sie haben meist mehrere Kinder von unterschiedlichen Männern. Die Kinder werden von ihren Mitschülern gedemütigt und brechen die Schule oft vorzeitig ab. Weil ihnen kaum eine andere Möglichkeit bleibt, droht den Töchtern der Devadasis häufig das gleiche Schicksal. Der Gesundheitszustand der Frauen ist schlecht. Sie leiden an Blutarmut, Asthma und Geschlechtskrankheiten. Viele haben AIDS. Besondere Probleme haben die Frauen, auch wenn sie älter sind, da sie keinerlei soziale Absicherung haben.
Die ANDHERI HILFE
möchte das Leben der Frauen ändern und das Leben der zukünftigen Generation. Basamma und all die anderen Devadasis sollen die Wahl für ein besseres Leben, eines in Würde, haben. Deshalb unterstützt die ANDHERI HILFE Devadasi-Projekte in Indien. Gemeinsam mit der Partnerorganisation SNEHA arbeitet die ANDHERI HILFE bereits seit einigen Jahren im Distrikt Bellary im nördlichen Karnataka. Dort ist sie auf die Situation der Devadasis aufmerksam geworden und führt seit 2005 ein Projekt zur Abschaffung des Devadasi-Systems und zur Wahrung der Rechte von Kindern und Frauen durch.
Die ANDHERI HILFE ist die größte zivilgesellschaftliche Organisation in Deutschland, die sich seit über 55 Jahren für die nachhaltige Förderung von unterprivilegierten und armen Menschen in Indien und Bangladesch engagiert mit dem Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“. ANDHERI HILFE ist eine unabhängige Organisation der Entwicklungszusammenarbeit. Sie ist aus einer Privatinitiative – gegründet von Rosi Gollmann – für Waisenkinder in Andheri bei Mumbai (damals Bombay) entstanden und arbeitet seit 1967 als gemeinnütziger Verein. Zurzeit fördert sie rund 70 Projekte und Entwicklungsprogramme in Indien und Bangladesch und erreicht rund 1 Million Menschen. 1967 ging es schlicht um die tägliche Handvoll Reis für die Kinder im Waisenhaus in Andheri. Heute ist die ANDHERI HILFE eine anerkannte Organisation der Entwicklungszusammenarbeit, unabhängig und engagiert wie am ersten Tag.
(Alle Fotos stammen von Roger Richter)
Sarah Jane Call schreibt im Auftrag der Andheri Hilfe für 24notes
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