02 Nov Transitzone Bücherschrank
Reflexionen eines Buches
Da stehe ich nun. Meine Zeit in einem Pappkarton im Keller ist also vorbei…wenigstens fürs Erste. Die acht Monate haben mir gereicht. Endlich stehe ich wieder in so etwas wie einem Schrank. Nicht in einem Wohnzimmerschrank, aber in einem Bücherschrank. Diesmal in einer Art Glasvitrine…mitten im öffentlichen Raum. Mit vielen Artgenossen. Stolz präsentiere ich meinen Buchrücken „The old men and the sea“ von einem gewissen Ernest Hemingway…
Man hat mich also hierhergebracht. Eigentlich bin ich froh darüber, dass ich übergangsweise hier gelandet bin…und nicht wie viele meiner Artgenossen auf dem Müll. Bis mich irgendjemand mitnimmt, der sich für mich interessiert. Hier in diesem Glasschrank habe ich keine dauerhafte Bleibestätte. Nur weiß ich nicht wie lange ich hierbleiben darf. Von meinem Vorbesitzer weiß ich, dass mich ein berühmter Autor geschrieben hat, sogar ein Träger des berühmten Nobelpreises für Literatur…mich haben ja gleich mehrere Leute gelesen…und alle haben dauernd vom Nobelpreisträger Ernest Hemingway gesprochen.
Die Leute, die mich damals druckfrisch gekauft hatten wohnten in einer kleinen Wohnung…eine große Bücherwand hatte darin keinen Platz. Gelesene Bücher wurden darum in den Keller verbannt. Nun war der Zeitpunkt gekommen, als die Familie wieder nach dorthin zurückzog, wo sie ursprünglich herkamen. Ins Land jenes großen Romanautors, der mich geschrieben hatte. In die Vereinigten Staaten. Was zu schwer war fürs Gepäck musste hierbleiben…und ja, darum stehe ich jetzt hier, in der Transitzone für Bücher. Wo ich mich aber ehrlich gesagt sehr wohl fühle. Wer weiß, was bald auf mich zukommen wird. Wieder in irgendeinem Keller landen. nein das möchte ich nicht…
…vielleicht…vielleicht
Beeinflussen kann ich hier gar nichts. Ich gehe aber mit jedem gerne mit, der sich für mich interessiert…egal ob er mich nun am Ende schätzt…oder vielleicht auch nicht. Literatur ist ja schließlich auch Bauchsache…und wie bei allen Formen der Kunst gibt es auch hier ganz unterschiedliche Geschmäcker. Wenn er mich gut behandelt, dann soll mich auch gerne einer dieser armen Kerle mitnehmen, die unter der Wittelsbacher Brücke ihr Dasein fristen müssen. Vielleicht kapiert so einer viel besser als der der durchschnittliche Otto-Normal-Verbraucher…dass ich es einfach nicht verdient habe, achtlos im Müll zu landen…vielleicht habe ich so die besten Chancen, hier in meine geliebte Transitzone zurück zu kommen.
Bevor man mich entsorgt ist es mir sogar immer noch lieber, ich komme in eine Knastbibliothek…keiner der Knastbrüder ist zu schlecht dafür, als dass er nicht lesen dürfte. Vielleicht kommt beim ein oder anderen dann doch noch die weise Erkenntnis darüber, was bei ihm falsch gelaufen ist.
Ein wahrer Verbrecher ist nur derjenige, der jemanden wie mich in den Giftschrank verbannt, oder anders gesagt verbietet. Und derjenige, der mich auf dem Scheiterhaufen verbrennt!
Inspiriert zu diesem Projekt hat mich u.a. die Ausstellung Transit, die derzeit im Giesinger Kulturbahnhof München stattfindet, und das u.a. auch das was ich beim Besuch dieser Ausstellung gleich am Eingang zu sehen bekam: ich vermute mal sehr, diese Objekt gibt es dort schon länger.
…und selbstverständlich waren es auch die vielen Bücherschränke, die man vierlerorts und demnach auch bei uns im Münchner Stadtgebiet findet.
Über dieses Thema wollte ich ja schon lange schreiben…und als leidenschaftlicher Radler bin ich das Stadtgebiet ein gutes Stück weit abgefahren und habe mir einen Teil der Bücherschränke vorgenommen. Einen der originellsten fand ich in der Nähe des S-Bahnhof Laim:
Kommunikation
Denken
Gedanken
eine Vielzahl von Gedanken
Ideen
Stift
Gedanken Worte Sätze
Geschichten
Schrift auf Papier
auf Papier analog festgehalten
oder Daten digital festgehalten
Papier Transitzone
oder Datenträger Transitzone
Lektor liest
Lektor meint
Text bleibt in der Transitzone haften
Transitzone von Dauer
oder Lektor meint
Text kommt aus der Transitzone raus
sprich findet Leser
dann ab in den Druck
Buch wird gebunden
…wird veröffentlicht
…wird verkauft
Buch bleibt im Regal
Text bleibt in der Transitzone
Buch wird gelesen
Gedanken werden weitergegeben
Geschichten werden
weiter gegeben
wandern in den Kopf des Lesers…
…mit einem E-Book oder Hörbuch
entsprechend das gleiche Liedchen
…im Netz kursiert aber vieles…na ja,
was nie einen Lektor gesehen hat…
…ich bevorzuge analog…
auch wenn es durchaus seriöse
Podcast Plattformen gibt…
Gedruckte Bücher aber
verstauben oftmals nach
einmaliger Lektüre
Soll damit der Weg von Gedanken
Geschichten, Büchern zu Ende sein?
Ich denke nein…
Geri ist leidenschaftlicher Fotograf mit einem intensiven Blick für verborgene Details. Er arbeitet ausschließlich digital und zeigt seine Arbeiten u.a. auch bei 24notes.
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