08 Okt George Orwell: „Animal Farm“ und „1984“
Früher Standard Schullektüre, heute immer mehr in Vergessenheit geraten: „George Orwell: Animal Farn und 1984“ Obwohl die Visionen dieses britischen Autors noch nie so brisant waren wie heute. Auch wenn er diese beiden Werke zu einer ganz anderen Zeit und vor einem grundlegend anderen politischen Hintergrund verfasst hat, als den, den wir heute in der Gegenwart vorfinden.
In den Achtziger und Neunziger Jahren des vergangenen Jahrhundert gehörten „Animal Farm“ und „1984“ im Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe zur Standardlektüre. Und wer die Bücher nicht für die Schule durchlesen musste, der hat sie sich oftmals privat vorgenommen. Oder sich die Verfilmungen angesehen. Beide Bücher wurden verfilmt, „Animal Farm“ gab es schon 1954 als Zeichentrickfilm, „1984“ wurde u.a. für das Jahr 1984 verfilmt, mit einem ausdrucksvollen John Hurt als Winston Smith, und einem grandiosen Richard Burton in der Rolle des O’Brain. Letzterer erlebte die Uraufführung dieses Films übrigens leider nicht: er starb im Orwellschen Jahr 1984.
An Brisanz nichts verloren
Ich selbst nahm mir im Rahmen meines Englisch Leistungskurs beide Werke vor. Damals sah man sie in erster Linie als Anspielung auf die (heute) ehemalige Sowjetunion. Nicht zu Unrecht. Ein Hauptaspekt von „Animal Farm“ (zu deutsch „Farm der Tiere“) ist die in den damaligen sozialistischen Ländern praktizierte krampfhafte Gleichmacherei aller Staatsbürger – ein Unterfangen, das zum kläglichen Scheitern verurteilt war. Noch heute hört und sieht man es immer wieder in den Fernsehdokumentationen über die ehemalige DDR: Das Machtstreben und das Konkurrenzdenken Einzelner konnte beim sogenannten Aufbau des Sozialismus nicht eingedämmt werden.
Die Geheimdienste in den ehemaligen Staaten hinter dem eisernen Vorhang taten ihrerseits ihre Aufgaben, um Gegner von Anfang an mundtot zu machen. Oder wenn notwendig sie auch regelrecht fertig zu machen, im damaligen Stasi-Jargon „zersetzen“ genannt. Nur hatten sie es wesentlich schwerer in etwa eine Wohnung zu verwanzen, als es ihre fiktiven Kollegen in Orwells „1984“ hatten, und erst recht wie es die Geheimdienste im realen Jahr 2018 haben.
Nein, lieber Leser, sie haben richtig gelesen. Wir im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhundert haben technische Möglichkeiten in die Privatsphäre und sogar den Intimbereich unserer Mitbürger einzudringen, von denen George Orwell selbst in seinen kühnsten kafkaesken Visionen nicht einmal zu träumen vermochte…
Wie die Zeiten sich ändern…
Blicken wir einmal kurz zurück in das Orwellsche Jahr 1984. Zu jener Zeit haben wir ausschließlich analog fotografiert. Computer gab es zwar bereits, jedoch waren sie in den Firmen und Behörden nur ganz begrenzt eingesetzt. Das gleiche gilt für Faxgeräte. Wir hatten noch kein Internet, auch hatte so gut wie niemand eine Idee, was eine E-Mail denn sein könnte. Nur wenige besaßen damals ein Mobiltelefon, und wenn, dann war es so sperrig, dass es garantiert in keiner Hosentasche Platz hatte. Textnachrichten, webcams, Handykamera? Damals Fehlanzeige. Und erst recht facebook, twitter und youtube.
Mit all diesen neuen Medien wurden wir förmlich innerhalb weniger Jahre überrollt. Es fragt sich aber, ob wir imstande sind, mit diesen Dingen auch nur halbwegs verantwortungsvoll umzugehen. Ich kann nur feststellen: davon sind wir Lichtjahre weit entfernt. Auch mich selbst will ich da nicht ganz ausnehmen.
Was technisch heute alles möglich ist…
Der Staat kann – wenn er es denn will – ohne Probleme über Internet oder Mobiltelefon in die Privatsphäre jedes einzelnen eindringen. Ich nenne hier nur ein paar Stichwörter: Bundestrojaner, Cookies, Keylogger, Hacking. Allerdings: in Deutschland und in der Europäischen Union gibt es gewisse Regeln, wann so etwas erlaubt ist und wann nicht. Zum Glück gewährt uns unsere Verfassung mittels der Grundrechte einen gewissen Schutz davor, dass der uns der Staat heute mit diesen „technischen Spielzeugen“ die Türe einrennen kann.
Welche Mittel hätte ein totalitäres System heute?
Genau hierfür liefert Orwell anhand von O’Brian und Winston Smith ein Beispiel. Und Winston erliegt O’Brians Machenschaften (heute würde man vielleicht sagen „Fake News“) und wird einer Gehirnwäsche unterzogen – so lange bis er „Big Brother“, den großen und unberührbaren Mächtigen liebt. Liebt wohlgemerkt, nicht nur respektiert.
Im Orwellschen totalitären Staat hatten die Bürger zuhause ihren Telescreen – im Prinzip vergleichbar mit einem mit Webcam ausgestattetem PC, was bekanntlich heute Standard ist. Einziger Unterschied: den PC können wir abschalten, was die Bürger in Orwells „Ozeanien“ nicht konnten bzw. durften. Für ein totalitäres System jedoch, egal welcher Couleur wäre es ein Leichtes, eine vergleichbare technische Konstruktion einzusetzen. Sobald die rechtlichen Voraussetzungen dafür gegeben sind.
Es ist mir in diesem Rahmen hier nicht möglich, alle Details von Orwells Schreckensvision anzusprechen. Wer den Roman liest, der wird einsehen, dass viele vom ihm beschriebenen Phänomene in unserer heutigen Gesellschaft längst Realität sind und es für ein autoritäres System ein leichtes wäre, diese einzusetzen.
Auch das in der „Animal Farm“ angesprochene Prinzip „Vier Beine gut, zwei Beine schlecht“ hat heute nicht an Aktualität verloren. Die Probleme mit dem Verhältnis von Mehrheit und Minderheit und die daraus entstehenden Konflikte ist uralt, und wird uns auch in der Zukunft noch beschäftigen. Ebenso wie die Auseinandersetzung mit dem Andersartigen.
„Animal Farm“ und „1984“
Ich fände es nicht nur schade, wenn diese beiden Klassiker der englischen Literatur in Vergessenheit geraten würden. Ich sehe es als einen hohen Verdienst George Orwells, dass er jene gefährlichen Mechanismen, die sich in jeder Gesellschaft breit machen können, bereits in den Vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts erkannt hat und in seinen Büchern erörtert, wohin diese führen können. Insbesondere war ihm damals schon klar, wie gefährlich ausgeklügelte Kommunikationssysteme für die Freiheit des Individuums sein können. Noch nie zuvor könnte sich ein totalitärer Staat dieser Mittel so leicht bedienen wie heute. Dies sollte jedem von uns bewusst sein, und darauf sollte jeder sein Handeln ausrichten, damit eine Schreckensvision eines George Orwell nicht zur Realität wird.
Die Bücher sind aufgrund ihrer Thematik anspruchsvoll und keine leichte Kost, aber in verständlicher Sprache und spannend geschrieben, so dass sie sich auch als Freizeitlektüre eignen. Wer der englischen Sprache ausreichend mächtig ist, für den bieten sich die beiden Bücher auch in der Originalsprache an.
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Geri ist leidenschaftlicher Fotograf mit einem intensiven Blick für verborgene Details. Er arbeitet ausschließlich digital und zeigt seine Arbeiten u.a. auch bei 24notes.
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