21 Jun Auf der Treppe
Wir befinden uns am Abgang zum Untergeschoss einer alten Fabrik.
Die Treppe ist begrenzt nach links von einer Mauer, die das Erdreich stützt, nach rechts durch das
Gebäude, so dass ein Schacht oder Schlund entsteht. Die einzelnen Stufen durch Bleche ausgebessert, aber an den Seiten hat sich Unkraut durch die Fugen gekämpft.
Ein rostiger Handlauf weist uns den steilen Weg nach unten.
Halb unten, im Zwielicht, drückt sich eine Gestalt mit dem Rücken an die moosbewachsene Mauer. Sie starrt mit leeren Augen auf ein Fenster des Kellers. Dessen Glas ist mit Draht verstärkt, die Scheiben von Staub getrübt. Davor ein Eisengitter
Was verstecken sie vor uns?
Das Paradies, hört man, wenn ihr drin seid, ist es das Paradies. Der Weg ist hart und gefährlich. Aber lasst euch nicht schrecken.
Die Hölle, sagen andere. Bleibt weg, geht nicht dahin. Ihr wollt leben? Ihr wollt überleben? Bleibt weg!
Die Treppe. Es gibt sie, und es gibt sie nicht Wenn wir noch bei Verstand sind, stehen wir davor, oben, am Beginn des Abgrunds. Es gibt sie, wir sehen sie, die Treppe, wir müssen nur noch unsere Füßte in Bewegung setzen.
Oder…
Es gibt sie nicht. Wir haben uns informiert. Ein Mythos, eine Eulenspiegelei. Leute haben uns erzählt, es wird schwer. Wenn ihr überhaupt das Geländer finden könnt, werdet ihr auf der Treppe an euren Sinnen zweifeln. Stufe um Stufe mehr. Leute haben erzählt, niemand hat je den Boden des Schachtes betreten, ohne zu bezahlen.
Wir sprechen nicht darüber woher wir kommen. Nicht darüber, wer wir sind. Wir allen wollen nicht da sein, wo wir waren. Und wir wissen nicht, wohin wir gehen. Doch wir erkennen den Boden, der Beton aufgebrochen, Geröll und Erde sichtbar.
Unten, am Ende der Treppe, in der Kellermauer eine Tür. Die untere Hälfte aus Metall, die obere aus diesem verstärkten, durch Dreck und Staub erblindetem Glas. Dahinter soll eine Welt sein, die für uns nie existiert hat, eine Welt die über unseere Vorstellung hinaus geht. Eine Welt, die das Wesen der Welt erfasst und gleichzeitig über allem schwebt.
Die Tür
Die Tür selbst ist mit einer Metallstange gesichert, als soll sie von innen nicht geöffnet werden können. Gegenüber, ganz in der Ecke, erkennen wir noch eine Gestalt, sie kauert in einem Sack im Dunkeln. Ein Flüstern dringt zu uns: Verkauft eure Seele, dann bring‘ ich euch rein. Wir riechen Moder und Fäulnis.
Als Wind um das Gemäuer zieht, hören wir ein quietschendes, knarzendes Geräusch. An den Stahlträger, der über der Tür aus dem Gebäude ragt, schwingt ein mit rostigen Ketten befestigtes Schild hin und her.
Undeutlich erkennen wir den verblassten Schriftzug darauf.
Geri ist leidenschaftlicher Fotograf mit einem intensiven Blick für verborgene Details. Er arbeitet ausschließlich digital und zeigt seine Arbeiten u.a. auch bei 24notes.
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