16 Sep Sounds betrachten, Bildern lauschen
Das neue Album „Azimut“ ist ein Crossover aus Ton und Bild, aus „Ethnic Fusion“ und abstrakter Fotografie
Die experimentelle Weltmusik-Band Analogue Birds und der Fotograf Ulrich Raschke erprobten eine ungewöhnliche Zusammenarbeit
Laut, live und direkt begeistern die Analogue Birds ihr Publikum am liebsten, mit außergewöhnlichen Klängen und fetten Beats auf höchstem Niveau. Bei Auftritten in ganz Europa mischt die Band seit 2004 auf kreative und unwiderstehlich tanzbare Weise Elemente von Weltmusik, NuJazz, Rock, Dancehall und Break Beats. Bis
2020 hatten die Musiker mehr als 1000 Gigs auf dem Buckel – in Konzertsälen oder in Clubs, bei Open-Air-Festivals ebenso wie als Straßenmusiker. Dann kam die Covid-Pandemie, und das kulturelle Leben erstarrte. Alle Konzerte wurden abgesagt, Tourpläne lagen auf Eis. Tom Fronza, musikalisches Epizentrum und zugleich
Produzent des Projekts, nutzte die unfreie Zeit der Lockdowns zum Komponieren, sammelte musikalische Skizzen und suchte in den unversperrten Weiten des Internets Inspiration. Dabei stieß er auf die abstrakten Bilder des Fotografen Ulrich Raschke.
„Eigentlich befindet man sich als Betrachter ja oft relativ nah am Foto,
aber Ulrichs Art der Motivsuche und der Ausschnitte haben mich das sofort vergessen lassen“, sagt der Musiker: „Seine Bilder vermitteln mir grundsätzlich das Gefühl, in weitem Abstand über einem undefiniert riesigen Gebilde zu schweben.“ In einer Zeit, da er sich in seinem Studio oft eingesperrt gefühlt habe, war das Inspiration und zugleich eine Art Befreiung.
Von einer „offenen Tür“ spricht auch Raschke, wenn er seine fotografische Arbeit beschreibt: „Abstrakte Fotografie nimmt uns die Illusion, es gäbe eine Objektivität der Abbildung, mit der wir uns auseinandersetzen könnten, statt mit der Wahrheit der Bilder in uns.“ Das mache sie zur Mutprobe für Fotografen wie Betrachter, so der Berliner. Für seine Fotos ist nicht mehr entscheidend, was er aufgenommen hat, sondern auf welchen Auslöser die Bilder beim Betrachter drücken, wenn er sich auf sie einlässt.
An menschenleeren Schauplätzen, die nicht länger von einer Funktion in Schach gehalten werden, sucht er in der Erinnerung des Orts nach dem, was er „Poesie des Absichtslosen“ nennt. So wie sich eines Menschen Mimik entspannt, wenn er sich unbeobachtet glaubt, verwandeln sich auch Strukturen, Gebäude und Dinge, über die kein menschlicher Blick mehr wacht. Diesem Prozess kommt der Künstler mit der Kamera so nah, dass seine Fotos die Gegenständlichkeit überwinden. Seine entschleunigte Annäherung, die Trennung von Detail und Kontext lassen abstrakte Bilder entstehen, die Betrachter mit dem ersten Blick oft als Gemälde ansprechen.
Der Musiker kontaktierte den Fotografen über Facebook:
Ob er sich eine Kooperation für ein neues Album vorstellen könne, mit abstrakten Bildern als Basis für dessen Artwork, aber auch als visuelle Inspiration für die Songs? Der Funke sprang über, Links wurden ausgetauscht, Fronzas Auswahl zog Kreise, machte einen Looping, erweiterte und verengte sich erneut. Ein Bild behauptete seinen Platz von Beginn an: „Der gefallene Engel“, Namenspate für das Stück „Fallen Seraph“, wurde auch zum Cover-Motiv für „Azimut“.
Und wie funktioniert der kreative Austausch zwischen Bild und Sound?
„Ulrichs abstrakte Fotos waren wie eine Einladung, eigene Bilder und Motive zu erkennen und sie in Melodien, Stimmen und Kompositionen auszudrücken“, sagt Fronza. Die Räumlichkeit und Weite, mit der er die Musik produziert habe, seien auch der Art geschuldet, wie Raschkes Bilder auf ihn wirkten: „Jedes Bild hat mir sofort eine Art Panorama-Perspektive eröffnet. Mir kam schon beim ersten Foto die Aufhebung der Grenzen zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos in den Sinn.“ Unter Pandemie-Bedingungen nahmen die Tonaufnahmen für das fertig komponierte Album und die finale Mischung in Fronzas Umlaut Recordings Studio noch über ein Jahr in Anspruch, denn die Musiker konnten nie miteinander proben und ihre Stücke einspielen.
Neben dem musikalischen Kern der Analogue Birds, David Bruhn und Alexander Lipan sowie Fronza selbst, wurden 15 weitere internationale Gastmusiker wie Pat Appleton von der Band DePhazz, Perkussion-Derwisch Bodek Janke, der mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnete Timo Gross und der angolanische Sänger/Rapper Luzingo Monimambo eingeladen. Sie kamen einzeln ins Herforder Studio, um ihre Parts aufzunehmen. Dass aus den vielen Teilen danach ein rundes Ganzes wurde, verdankt sich neben handwerklichem Können auch dem Willen, die Corona-Challenge mit kreativen Spirit zu überwinden.
Acht Songs und acht Bilder vereinen sich nun auf „Azimut“
zu einem Downtempo-Album, das für die Analogue Birds eher untypisch ist, und dennoch „eine Musik, die ich schon immer mal machen wollte“, so Tom Fronza. Sie macht die Zeit der Zurückgezogenheit und erzwungenen Kontaktarmut im Echo von TripHop, Ambient
und einer Prise 90s jazzy-HipHop hörbar – etwas chilliger als frühere Alben der Band, manchmal fast melancholisch. Bild- und Klangteppich sind traumwandlerisch ineinander verwoben, jeder Song korrespondiert mit einem Foto, das ebenso gut gemalt sein könnte – und viele der Stücke adaptieren Bildtitel wie „Nachtgestalten“ („Alley Cats“), „Der Mürrische Kakadu“ („Sulky Cockatoo Ballad“) oder „Das Staunen
des Mondes“ („Astonished Moon“).
Für die Analogue Birds ist das Album eine Rarität, denn live auf der Bühne wird man diesen fein gewebten Teppich kaum erleben – er liegt eher in der Lounge als auf dem Dancefloor.
Hier ist „Azimut“ zu hören:
• CD-, Vinyl- und Download-Vertrieb exklusiv über den Umlaut Recordings Shop und Analogue Birds bandcamp Shop
• Einzelne Titel als Download auf bandcamp, sie können bis zu dreimal gratis gestreamt werden
• Auskopplung „Alley Cats“ digital über Distrokid auf den üblichen Streaming Plattformen Spotify, Deezer, Apple Music, Youtube: Klick
(Textursprung: Pressemitteilung von Ulrich Raschke)
Autor, Fotograf, Blogger und Initiator von 24notes, dem Magazin für Literatur, Fotografie und der Kunst, das Leben zu verstehen.
No Comments