Ist dir wirklich klar, dass du sterblich bist? - 24notes
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Ist dir wirklich klar, dass du sterblich bist?

Vom Umgang mit der eigenen Vergänglichkeit.

Ist dir wirklich klar, dass du sterblich bist?

Der April war für mich ein trauriger Monat. Schon ganz am Anfang traf die schlechte Nachricht ein, dass mein guter Kamerad und Freund Thomas tödlich verunglückt ist. Er ist von einem Flug mit seinem Hängegleiter in den österreichischen Alpen nicht mehr heimgekehrt. Zuerst war da noch eine bange Hoffnung in der Ungewissheit – vielleicht ist er doch nur in irgendeinem Baum hängen geblieben und wird von der Bergwacht noch lebend gefunden. Zwei Tage dauerte die Suche nach ihm, trotz Handyortung und Wärmebildkameras. Mit dem Hubschrauber wurde die Suchmannschaft letztlich fündig und brachte die furchtbare Gewissheit: Thomas ist nicht mehr.

Was folgte, war Fassungslosigkeit. Weder ich noch meine Kameraden wollten es wahr haben: Der Tod hat sich einen aus unserer Mitte geholt. Am 11. April standen wir gemeinsam an Thomas‘ Grab; ein rabenschwarzer Tag.

Ist dir wirklich klar, dass du sterblich bist?

Warum beschlich mich so ein befremdliches Gefühl? Warum war ich so fassungslos? Dass ich Trauer empfand, war naheliegend und verständlich. Doch dieses Überraschungsmoment über das plötzliche Auftreten des Todes – das stimmte mich nachdenklich. Der Tod ist immer da und gehört wie die Geburt zum Leben. Auch ich werde eines Tages nicht mehr da sein. Ich stellte mir die Frage: Ist mir das wirklich restlos bewusst? Ob ich wollte oder nicht, bewusst oder unbewusst – ich habe die Endlichkeit meines Daseins wieder einmal verdrängt. Wie kann das nur sein?

Die Gegenwart ist alles, was zählt – mehr haben wir nicht.

Das Verdrängen unserer Vergänglichkeit ist ein merkwürdiger, wenngleich menschlicher Zug. Genauso wie das Ausblenden des Gegenwärtigsein. Es gibt weder Vergangenheit noch Zukunft. Doch mit unseren Gedanken beschäftigen wir uns mehr als 80 % unseres Lebens genau damit und verpassen dabei das, was ist – die Gegenwart.

Die Präsenz des Todes führt dich zum Wesentlichen.

Was wirklich zählt, ist dem Moment die nötige Achtsamkeit zu schenken. Nur in der Gegenwart kannst du alles Schöne entdecken und die Poesie des Lebens auskosten, frei von Angst und Anhaftungen. Auch der Sinn des Lebens ist im Hier und Jetzt zu suchen. Auf ein besseres, jenseitiges Leben zu hoffen, weist in die falsche Richtung.

Mit folgenden vier Punkten versuche ich den Tod in meinem Bewusstsein zu halten, damit mir die Wichtigkeit des Augenblicks nicht verlorengeht.

1. Sterben gehört zum Leben
Der Tod ist nach der Geburt wohl das wichtigste Ereignis in unserem Leben. In ihm öffnet sich ein Tor in eine neue Seinsform. Das Dasein, wie du es bisher kanntest, nimmt sein Ende.

2. Alles ist sterblich – auch ich
Im Tod verlöscht unser Ich. Das bewusste Ich als betriebsames Uhrwerk unserer Gedanken kommt zur Ruhe.

3. Es gibt kein jenseitiges, ewiges Leben
Der gegenwärtige Augenblick ist alles, was wir haben. Genau im Jetzt findet die „Ewigkeit“ statt. Das in vielen Religionen versprochene ewige Leben, in dem das körperliche und geistige Ich nach dem Tod wieder zur Auferstehung gelangt, ist nach meinem Verständnis eine Illusion. Das Ich wird verlöschen, es wird hinübergehen in einen uns nicht erklärbaren Urgrund des Seins – wie ein Regentropfen, der zurück ins Meer fällt. Er wird sich nicht mehr von dem ganzen Wasser unterscheiden lassen.

4. Eine Yoga-Übung – Totenstellung Shavasana
Dies ist eine Übung, die sich wörtlich mit dem Sterben auseinandersetzt. Du übst loszulassen. Erst die Körperspannung, dann deine Gedanken, dein ich.

Sandra Lucke von om-site.com hat die Totenstellung Shavasana auf ihrem Blog ausführlich beschrieben.

Wenn wir diese Übung zu 100% üben, sind wir danach nicht tot, sondern ein großes Stück freier. Dann haben wir alte Muster und Ängste unseres Egos sterben lassen. (Sarah Lucke)

Ich habe die Übung Shavasana in meine morgendliche Meditation integriert. So kann ich den Tod und unsere Vergänglichkeit nicht aus dem Auge verlieren. In diesem Bewusstsein gewinnt die Gegenwart an Bedeutung. Das achtsame Sein fällt leichter. Ebenso das Loslassen. Alles, was zählt, ist das Hier und Jetzt. Das ist keine Phrase, sondern die Wahrheit.

Wie ich einleitend schrieb, war der April für mich traurig. Auch deswegen, weil in der Osternacht ein Marder drei von unseren vier Kaninchen getötet hat. Ich habe die toten Tiere am Ostersonntag morgen entdeckt, als ich mit dem Hund raus ging. So war ich am Tag der Auferstehung wieder mit dem Tod konfrontiert und der Frage, wie ich das mit meinen Kindern diskutieren soll. Meine Gedanken dazu habe im Blogbeitrag »Der Tod – wie erkläre ich es meinen Kindern?« festgehalten.

Wie siehst Du das mit dem Tod und unserer Vergänglichkeit? Ist sie dir stets präsent und welche Konsequenz ziehst du daraus für dein Leben?

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3 Comments
  • Kai-Uwe Götz
    Posted at 12:57h, 11 November Antworten

    Als Altenpfleger habe ich viele Menschen in ihren Tod begleitet. Und leider nicht nur alte Menschen. Das Schwerste ist es junge Menschen in ihren Tod zu begleiten. Ihnen einen Sinn für ihr Leben und ihr Sterben zu vermitteln. Ich erinnere mich noch sehr gut an meine Zeit als Pfleger in Hamburg St.Pauli als der HIV-Virus grassierte und es noch keine Medikamete gab. Nur Unwissen und Diskriminierung.
    Natürlich haben wir eine Vergangenheit. Und wer sie nicht kennt kann in der Gegenwart nicht die Zukunft für seine Kinder gestalten.
    Seis, drum. Was mich der Tod lehrt ist mein Credo: Die Natur sorgt gut im Leben für uns, sie wird es auch im Tod tun.
    Gruß Kai-Uwe

  • Tabea
    Posted at 10:55h, 09 September Antworten

    Hallo Dieter,

    Ich muss dir jetzt als erstes mal sagen, dass dieser Post mich unheimlich bewegt hat… Und vielleicht auch ein wenig wachgerüttelt hat.

    Ich habe einen Opa, der nicht mehr so ganz gut ist, vor zwei Jahren starb mein Liebster Opa… Das macht den Tod zumindest etwas präsent… Aber meist verdränge ich ihn doch.

    Ich versuche zwar, meine Pläne immer direkt umzusetzen, weil ich nicht weiß, was später wird, aber Angst, vorzeitig zu sterben, habe ich eigentlich nicht.

    Mit dem Tod von Lebewesen werde ich aber schon immer viel konfrontiert – mein Stiefvater hat als Metzger oft auch unsere Lieblingstiere vernichtet. Ab und zu ist auch mal was gestorben – und es hat mich immer schwer verletzt, da gefühlt immer die zahmsten Tiere am ehesten dem Schicksal zum Opfer fielen. Aber jemandem zu sagen, dass sein Tier tot ist, ist grausam – ich habe mich echt schuldig gefühlt, als ich mir einer von Mamas Hühnern holen wollte und dabei ein totes Huhn im Nest fand und Mama davon erzählt habe… Obwohl ich ja nichts dafür konnte.

    Liebe Grüße

    • Dieter Brehm
      Posted at 08:28h, 13 September Antworten

      Hallo Tabea,
      es freut mich, wenn Dich mein Post zum Nachdenken angeregt hat. Nun ist es so, dass ich im Kern nicht zum Ausdruck bringen wollte, dass wir aufgrund unserer Vergänglichkeit ALLES Mögliche ohne Aufschub in unser Leben pressen sollen. Ich hoffe, das kommt nicht falsch rüber. Mir geht es vielmehr um ein achtsames Leben, in dem man den Moment wahrnimmt, ohne einfach nur durchzurauschen. Sich mit den wirklich wichtigen & richten Dingen beschäftigen, dazu muss mann zuerst mal ruhig werden und in sich hineinhorchen. Oftmals lösen sich dabei viele vordergründig erscheinende Wünsche einfach von selber auf.
      Viele Grüße, Dieter

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